Kritiken & Texte

TRAUM-A- LAND E.V.
- Verein zur Entwicklung Alternativer Lebensformen
 in der Provinz Franken –

 

BAUERNKRIEGS-LANDSCHAFT TAUBER-FRANKEN

SPURENSICHERUNGSPROJEKTE UND VERÖFFENTLICHUNGEN

 

Der Pfeifer von Niklashausen
1476

 

Traum-a-Land Kritiken und Texte

Ein Teil der Traum-a-Land-Arbeit schlägt sich als Rezensionen, Kritiken und als Berichte in der Tagespresse nieder. Mit der Kritik des Stückes von Hans Dieter Schmidt, Der kurze Sommer des Hans Beheim, trat man/frau erstmals im Mai 1976 an die breite, regionale Öffentlichkeit heran:

 

Der halbherzige Hans.
"Der kurze Sommer des Hans Beheim"-
Theaterstück von Hans Dieter Schmidt (1976)

"Hans soll ein Jedermann sein. Ein Jedermann zu jeder Zeit - was durch die Schlußworte des Stückes noch einmal unterstrichen wird. Hans ist der manipulierte, gebrauchte oder vielleicht sogar mißbrauchte Mensch, ein Namenloser, dem ein Namen aufgezwungen wird, ein Gemeiner, der dazu gedrängt wird, für die Gemeinen zu sprechen.

HDS hat sein Stück überzeitlich aufgebaut: Hans ist ein festes Thema, das durch einen historischen Stoff nicht nur vermittelt werden soll, sondern die Transformation in die Historie soll genau dieses "Jederzeit" unterstreichen. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist die: Ist es überhaupt sinnvoll einen historischen Stoff zur Grundlage zu nehmen, wenn die Historisierung reine Form bleibt, wenn sie durch das Problemthema des Stückes selbst nicht weitergebracht wird? Brecht hat konkrete Probleme historisiert, um sie durch den historischen Stoff noch konkreter, vermittelbarer, anschaulicher zu machen. Verfremdung war aber nicht nur Form, sondern Verschmelzung von historischem Stoff und aktuellem Inhalt. Beide hatten einen Bezug zueinander. HDS dagegen benutzt den historischen Stoff, um mit dessem Gebrauch zu zeigen, daß seine Handlung "jederzeit" spielen kann. Mit diesem "Überzeitlich-Machen" wird das Problem letztlich abstrahiert und zerfließt sich im Allgemeinen. Genau dieses Zerfließen des Themas, das Beschreibende, das noch durch die zentrale Rolle des Historikers im Stück in den Vordergrund gebracht wird, reduziert den Zuschauer auf die Rolle des Nur-Betrachtenden. Für Hans, für seine Sache, kann nicht Partei ergriffen werden, weil er selbst als bloßes Werkzeug, nicht Identifikationsperson werden kann. Die Schwäche der Rolle von Hans, die ihn weder als "Helden" noch als "Anti-Helden" erscheinen läßt, sondern als Objekt, als Getriebener, nimmt dem Stück seinen Kern und verkehrt es in das Gegenteil. Nicht die Historie soll über eine Person konkretisiert werden, sondern die Geschichte ist die Kulisse für einen der zahllosen "Hansen", die gelebt haben und noch leben, die Schachfiguren der Geschichte sind. Hans spielt in diesem Stück keine Rolle, er ist nicht Agierender, sondern seine Rolle wird ihm aufgezwungen. Statt tragend wird Hans tragisch dargestellt.

Damit wird das Stück resignativ, perspektivlos, fatalistisch. Hans muß scheitern, weil er ein Gemeiner gegen das Gemeine ist. Er ist dazu prädestiniert, nicht weil die Verhältnisse so sind, sondern weil er nicht wie die Verhältnisse ist. Der Zuschauer kann nur sein Schicksal anerkennen und mit ihm leiden, seine Ohnmacht übernehmen. Auch die an verschiedenen Stellen ausgesprochenen großen Worte von Hans ändern nichts am Grundtenor des Stückes. Seine Revolte wird "vervolkstümlicht". Seine geschichtlich richtige Erkenntnis, seine Beschreibung der Feudalherrschaft, sein Wissen darum, daß er kein Ende, sondern ein Anfang ist, wird durch die übermächtige Rolle der Mechthild, die den "gesunden Menschenverstand" - heute würde man sagen, das "Realitätsdenken" - personalisiert, als Träumerei abgetan. Hans wird als unpolitischer, naiver Mensch und Idealist dargestellt.

Sicher wäre es historisch falsch, ihn als politisch-bewußten Agitator darzustellen, aber man hätte zumindest seine objektive Rolle, die er für seine Epoche gespielt hat, darstellen müssen und zeigen, warum er dieser Rolle nicht gerecht werden konnte und warum der Bauernaufstand gescheitert ist. Statt dessen wird sein Widerstand zum Klischee des Widerstandes des kleinen Mannes, jederzeit und überall.

Trotz der formalen Anleihe bei Brecht, trotz der teilweisen Übernahme von theatralischen Effekten des Brecht'schen Theaters fehlt dem Hans-Stück der wesentliche Teil: die Dialektik, das "Umkippen" vom Erleiden hin zum Verändern. Bei HDS ist der Hans - was vielleicht auch autobiographische Grundzüge haben mag - Opfer der Verhältnisse, derjenige, der an ihnen zerscheitern muß, nicht Symbol des Widerstandes. Auch die von Enzensberger übernommene Titulierung "Der kurze Sommer des Hans Beheim", die in dem Stück nochmals emphatisch unterstrichen wird ("Wacht auf Leut', der Sommer kommt. Unsere Zeit! Es muß was geschehen!") schafft es nicht, diesen Verlust aufzuholen."

 

 

In Niklashausen waren die falschen Propheten -
Gedenken an den Pfeiferhans kritisch betrachtet

“Einer demokratischen Gesellschaft steht es schlecht zu Gesicht, wenn sie auch heute noch in aufständischen Bauern nichts anderes als meuternde Rotten sieht, die von der Obrigkeit schnell gezähmt und in die Schranken verwiesen wurden. So haben die Sieger die Geschichte geschrieben. Es ist Zeit, daß ein freiheitlich-demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders schreibt. Ich glaube, daß einen ungehobenen Schatz an Vorgängen besitzen, der es verdiente, ans Licht gebracht und weit stärker als bisher im Bewußtsein unseres Volkes verankert zu werden. Nichts kann uns hindern, in der Geschichte unseres Volkes nach jenen Kräften zu spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die dafür gelebt und gekämpft haben, daß das deutsche Volk mündig und moralisch verwantwortlich seine Ordnung selbst gestalten kann.” Dies schrieb der kürzlich verstorbene Altbundespräsident Gustav Heinemann 1970.

Diese Tradition des Pfeifers von Niklashausen kam während der Heimattage zu kurz. Die “revolutionäre Tradition” (Engels) des deutschen Volkes, die Geschichte der Leute, die für eine Veränderung der herrschenden Verhältnisse waren, und deshalb als Ketzer sterben mußten, konnte in den Rede- und Diskussionsbeiträgen während der Heimattage nicht in das Bewußtsein kommen, weil dem Pfeifer immer noch das Ketzerische anhängt. Während der Heimattage wurde deshalb nicht klar, was denn da gefeiert wird: ein Datum, das sich zum 500. Mal jährt, die Ereignisse vor 500 Jahren, die erneut die Massen nach Niklashausen streben lassen sollten, oder gar, daß der Pfeifer damals vor 500 Jahren umgebracht wurde? Das Bewußtsein, daß der Pfeifer damals von den Herrschenden umgebracht wurde, weil er ihre Herrschaft in Frage stellte, daß es nicht  “so kommen mußte”, wenn man sich gegen die Obrigkeit auflehnt,  daß sein Tod nicht “schicksalhaft” war, sondern er das Opfer der Machtpolitik wurde, wurde nicht versucht zu vermitteln. Die Mörder des Pfeifers werden nicht verurteilt, und man moralisiert die Ereignisse von vor 500 Jahren dahingehend, daß sich der Pfeifer dieses Ende selbst zuzuschreiben habe.

Die wirkliche geschichtliche Bedeutung des Pfeifers, seine Rolle als Vorbote des später zur geschichtlichen Wahrheit gewordenen Bauernkrieges, seine Rolle als Symbolfigur des Kampfes für eine gerechtere Gesellschaftsordnung wird aus den Machtverhältnissen unserer Zeit heraus verleugnet. Keiner der Redner machte zu diesem Punkt Ausführungen. Dr. Arnold sprach davon, daß man den Pfeifer “ernst nehmen” sollte. Was heißt das aber denn anders als Respekt vor seiner Person zu haben, ohne das Erbe des Pfeifers weiterzuführen? Dr. Heidland war nicht in der Lage, den Widerspruch zu lösen, daß ausgerechnet die Kirche die damals die Henker stellte, nun zum Pfeifer Stellung beziehen sollte. Er flüchtigte sich neben einer abstrakten Verurteilung der Gewalt in überirdische Sphären und sprach den Trost aus, daß vor Gott doch alle Menschen gleich seien.

Der Pfeifer war insofern Revolutionär, als er es eben nicht bei der Gleichheit vor Gott bewenden lassen wollte, sondern aus ihr auch eine Gleichheit der Menschen untereinander ableitete. Dieser Gedanke aber war Ketzerei, denn er stellte die “gottgewollte” (?) Ordnung der damaligen Zeit in Frage.

In Niklashausen waren die falschen Propheten vertreten. Die Bedeutung des Pfeifers wurde in einem Fest ohne Bewußtsein, was gefeiert wurde, in Festansprachen, die den Pfeifer entweder in geschichtliche Einzelheiten zerlegten oder vergeistigten. Trotzdem gilt es die positive Tradition des Pfeifers zu bewahren, auch wenn dies in Deutschland immer noch heißt, Widerstand zu leisten und zum Ketzer verdammt zu werden. (31. Juli 1976)

 

 

Die Niklashauser Fahrt. Ein Puppenspiel (1984)

"Den Auftakt mehrerer Aufführungen des Puppen- und Musikstückes "Die Niklashauser Fahrt 1476" bildetete die Premiere im voll besetzen Saal des Gasthauses "Zum Hirschen" im Juli 1984. Lehrer und Studenten der Kath. Universität Eichstätt unter Leitung von Rudolf Ackermann wagten sich im Rahmen eines Workseminars auf "spielerische Weise" an den Pfeifer-Hans, seinen Visionen und Forderungen und die daraufhin einsetzende Wallfahrt heran.

Vorhergehende Versuche von R. Kern mit einem stark heimattümelnden, treudeutschen Volksschauspiel im Jahre 1901, von R. W. Fassbinder 1970 mit einer verfremdenden Filmtransformation auf südamerikanische Verhältnisse, aber auch HD Schmidt's resignatives, die historischen Ereignisse nur fassadenhaft ausnutzendes Stück "Der kurze Sommer des Hans Beheim" 1976 wurden der Thematik und der geschichtlichen Relevanz selten oder gar nicht gerecht. Und die "Wallfahrt nach der Freiheit" des aus Niklashausen stammenden Franz Flegler ist bisher noch nicht in Szene gesetzt worden.

Das Publikum wurde anfangs langsam mit weitreichenden Beleuchtungen der sozialen Lage der ausgebeuteten, unterdrückten Bauern sowie der politischen Situation im Deutschen Reich, beispielshaft an den Emanzipationsbestrebungen der Würzburger Bürgerschaft gegenüber den Fürstbischöfen zum Thema hingeführt. Das Stück dokumentierte, angelehnt an die Veröffentlichungen von Dr. K. Arnold, die Niklashauser Fahrt und ihre Folgen. Konzipiert wurden dabei keine neuen Handlungsdialoge, man vermittelte im Spiel die historischen Vorlagen, die nötiger Ergänzungen und Interpretationen eines Kommentators bedurften, da Archivalien oft nur die herrschaftliche Meinung bzw. ihrer Schreiber widerspiegeln. Dadurch schälte sich erkennbar eine parteiische, aber nicht einseitige Stellungnahme zugunsten des Pfeifers und seiner "ketzerischen" Predigten heraus.

Die verlebendigte Dokumentation der historischen Geschehnisse beeindruckte durch den Wechsel von Spiel, Musik und Gesang, dem Einflechten der zeitgenössisch gefärbten Chronik des fürstbischöflich bestallten Schreibers und dem begleitenden, hinweisenden, auch korrigierendem Kommentar des Spielleiters. Eindrucksvoll inszeniert bestachen die Szenen mit akustisch unterstützter, visuell reicher, aktionsgeladener Handlung. Schwieriger anzunehmen dagegen die Informationsflut, die ins Stück einfloß. Die Person des Pfeifer-Hannes stand nicht vollkommen im Vordergrund, so blieb genug Raum, um die fürstliche Ausspitzelung, die Gegenaktionen ausführlich darzustellen. Dabei lieferte die theatralisch hervorragende Szene des Spitzelberichtes an den Fürstbischof Rudolf von Scherenberg die Gleichheitsforderungen des Pfeifers: " ... wenn die Fürsten, geistlich und weltlich, auch Grafen und Ritter soviel hätten wie der gemeine Mann, so hätten wir alle gleich genug" und die Drohung, "... es kommt dazu, daß die Fürsten und Herren noch um einen Taglohn müssen arbeiten."

Der intensive, dichte Ablauf war das Wagnis wert, die Niklashauser Fahrt mit Puppen und Musik aufzuführen. Ohne allzu großen Bühnenaufwand und Platzbedarf haben Leitung und SpielerInnen eine enorme Vielfalt verschiedener Handlungsebenen erreicht. Die Puppen und ihre Ausstaffierung waren, wohl in mühseliger Kleinarbeit, in aller Sorgfalt und mit Liebe zum Detail ausgearbeitet. Gesang und Musik, darunter die Lieder des Pfeifer-Hans, dargeboten u.a. auch von Kindern der DarstellerInnen, lockerten, gelegentlich mit zackigen Trompetenstößen, das Stück auf.

Der rote Faden der Inszenierung des Stückes verwies trotz der Gefangennahme, des Verbrennens des Pfeifers durch fürstbischöfliche Knechte und Henker auf die geweckten, unerfüllten Hoffnungen des gemeinen Volkes nach einem besseren Leben in Freiheit und Gleichheit. Verwunderung löste bei den Mitwirkenden des Stückes das rege Interesse der Dorfgemeinschaft an ihrem Pfeifer-Hans aus. Es ist vor allem der Verdienst von Franz Flegler, dessen Lebenswerk die Aufrechterhaltung der Pfeifer-Hans-Tradition ist, daß der "große Sohn" Niklashausens nicht in Vergessenheit geriet. Andernorts wurden und werden der Ketzerei bezichtigte, des Aufruhrs gegen die Willkür der Obrigkeit verdächtige, Sozialrevolutionäre allzugern verschwiegen und begraben."

 

 

Der Pfeifer von Niklashausen.
Ein Film von A. Jungraithmayr (1986)

"Die öffentliche Uraufführung des Films "Der Pfeifer von Niklashausen" von Alfred Jungraithmayr - mit dem Prädikat "besonders wertvoll" - fand im März 1986 als Teil der Erinnerungsarbeit des Traum-a-Land e.V. sowohl im Wertheimer Roxy-Filmtheater als auch im Saal der Kulturkneipe "Pfeiferhannes" in Hirschlanden statt. "Der Pfeifer von Niklashausen" ist ein in der Literatur oft verwendetes Motiv für Erzählungen, Romane und Kinderbücher. Selten sind hingegen die filmischen Darstellungen des Stoffes.

Anfang der 70er Jahre verfremdete Rainer Werner Fassbinder in seiner "Niklashauser Fahrt" die Ereignisse in südamerikanische Verhältnisse, was dazu führte, daß von der eigentlichen Pfeifer-Handlung kaum mehr etwas übrigblieb. 1981 wurde die Pfeifer-Geschichte im Film "Bundschuh" der Frankfurter Filmwerkstatt eingebaut und zu einem regionalen Portrait verarbeitet. Anders als diese filmischen Versuche geht der Film "Der Pfeifer von Niklashausen" von Alfred Jungraithmayr, in Coproduktion mit dem WDR 1982 gedreht, mit dem Stoff um. Für Jungraithmayr ist die Pfeifer-Geschichte eine Ketzergeschichte, die noch bis in unsere Zeit hinein einen Bann ausstrahlt. Den Hintergrund des Films bildet der Versuch von Bürgern und Bürgerinnen von Niklashausen, die Geschichte des "Pfeifers" in einem Theaterstück aufzuführen. Damit spielt ein Ort seine eigene Geschichte und spielt alte Schwierigkeiten mit hoch, damit steigen die Niklashäuser BürgerInnen ein in die eigene Historie, diskutieren die Motive ihres großen Sohnes Hans Beheim, werden aber zunehmend mit Erinnerungen an die Ketzergeschichte konfrontiert. Immer noch lastet ein unsichtbarer Bann über der Person und der Geschichte der Pfeifers, denn er gilt immer noch als Ketzer. 1902/03 wurde als Folge einer harmlosen, vielmehr hurrapatriotischen Pfeifer-Aufführung der Ort von den benachbarten Dörfern gemieden, die örtliche Mühle boykottiert, vor den Gasthäusern ausgespuckt, und in den umliegenden Dörfern gegen die Niklashäuser gehetzt.

Auch der erneute Versuch 1982 ein Theaterstück des Pfeifers im Ort aufzuführen, scheitert, allerdings nicht aufgrund äußeren Druckes, sondern eher aus fehlender Regie und innerer Entschlußkraft der Theaterspieler. Die Kamera begleitet diesen Prozeß vom ersten Zusammentreffen bis zu fragmentarischen Auftritten vor der Würzburger Festung. In Einzelszenen wird verfolgt, wie sich die Bürger zur Idee des Pfeifers und zur Theateraufführung stellen. Franz Flegler, der Ortschronist, liefert die Hintergrundinformation zur Geschichte des Pfeifers. Hans-Dieter Schmidt, der Autor des Theaterstückes, erläutert sein Verständnis des Pfeifers und gibt Vorschläge, wie das Stück zu verstehen und zu spielen sei.

Die Kamera bleibt aber nicht in dieser Realität, in der bloßen Dokumentation dieses schwierigen Umgangs mit der eigenen Geschichte hängen, sondern macht sich immer wieder auf, Bilder und Motive des Pfeifers in der fränkischen Landschaft zu suchen: eine Schafherde (Hans Beheim war Hirte), das violette Licht hinter einem gebleichten Bildstock, Frühsommerregen und immer wieder die überall präsenten Bildstöcke (als steingewordene Sinnbilder von Leidensgeschichten). Die Ruhe und gleichzeitige Unruhe dieser Bilder mündet im Zitat von Ernst Bloch, der den Bauernkrieg und auch das Vorspiel des Pfeifers von Niklashausen mit seiner Utopie eines "Reiches der allgemeinen Brüderlichkeit" mit der Vision, daß "Fürsten und Geistliche gleichviel besitzen müßten wie der gemeine Mann", als "Umgang des ältesten Traums, als breitester Ausbruch der Ketzergeschichte, als Ekstase des aufrechten Gangs und des geduldlosen, rebellischen, ernstlichsten Willens zum Paradies" bezeichnet.

Gerade die entsprechenden Bilder dazu, geben Zeit, die mitlaufende Handlung zu durchdenken und setzen eigene Phantasie und Gedanken frei. Ein Film, der zu einer ungewöhnlichen Reise durch Landschaft und Geschichte, Land und Leute beobachtend, einlädt. Viele der im Kino anwesenden und als Darsteller mitwirkenden Niklashäuser konnten sich so erstmals selbst auf einer Kino-Leinwand sehen, ihr eigenes Schauspiel, den eigenen Ort aus filmischer Perspektive entdecken."

 

 

Glanzloser Hans.
"Der kurze Sommer des Pfeiferhannes",
Theateraufführung, Freudenberg Juli 1989

"Trotz wirklich gelungener Aufführung in professionellem Rahmen und bei farbenprächtiger Kulisse in der Freudenberger Burgruine blieb das umgeschriebene Stück "Der kurze Sommer des Pfeiferhannes" von Hans Dieter Schmidt noch hinter der Fassung von 1976 zurück. Die historische Rolle des Pfeifers, die bereits in der Fassung für die Badische Landesbühne zur Rolle eines "mißbrauchten Jedermann" um-interpretiert wurde, wird in der Neufassung des Stückes 1989 leider noch verstärkt. Der "Hans" der Freudenberger Inszenierung spielte eigentlich keine Rolle mehr, er schien während des ganzen Stückes förmlich "von der Rolle", "von Sinnen", zweifelnd und selbstzweifelnd, nie zu sich kommend und erst angesichts der Flammen bei-sich.

So will es der Autor, Hans Dieter Schmidt, was er auch im aufgelegten Textbuch ausführlich darstellt. Mit diesem Pfeifer-Bild läßt sich allerdings im wahrsten Sinne des Wortes keine Geschichte machen, sondern eben nur Geschichtchen, und zu einer solchen Ansammlung wurde das 1989er Stück.

Schon der Einstieg in das Stück bleibt diffus. Die Hintergründe  der Umbruchzeit bleiben im dunkeln, die soziale Lage der Bauern wird nicht "eingespielt", die Ursachen von Unmut und Unruhe bleiben unerhellt. Wie von einem Erleuchtungsblitz getroffen, taumelt der vermeintliche Held des Stückes - der ja keiner sein und werden soll und auch nach der Inszenierung nicht wird - auf die Bühne, ist verwirrt, sprachlos und unsicher, schwankt im Zwiespalt zwischen Erkenntnis und Alltagserfahrung hilflos umher und wird damit Objekt von Manipulateuren. Als Hans seine Pauke zerschlägt, um mit seinem bisherigen Leben zu brechen, bleibt unklar, was in ihm vorgegangen ist, denn der Ex-Dorfmusikant bleibt diffus, tritt seine neue Rolle nicht an. Anstatt von der historischen Botschaft zu künden, Sprecher der Sprachlosen, zum Rufer gegen das Unrecht, zum Propheten einer neuen Ordnung zu werden, bleibt er der "hineingeredete", der "genötigte" und "mißbrauchte" Hans.

Hans Dieter Schmidt bricht mit der historischen Rolle des Pfeifers an dieser Stelle, reduziert ihn zu einem "Menschenschicksal", dessen Perspektive nicht die Hoffnung auf's Besserwerden, sondern nur der Scheiterhaufen der Geschichte ist, denn "der gemeine Mann, der wird gebraucht, bis dann am End das Feuer raucht." Fatalismus statt Menschlichkeit kennzeichnen das Stück und verurteilen den Hans zu einer Marionettenrolle. Hans erscheint als Ver-Rückter, als einer, der neben seine Welt gerückt wurde, weil er eine Vision hatte, mit der er nicht fertig wird. Sein Schicksal wird das 'Zer-Scheitern', die Zer-Störung auf dem 'Scheiter'-Haufen, als prädestiniertes Scheitern.

In diesem Moment dann noch die wirkliche Freiheit zu erkennen, wie es Hans Dieter Schmidt tut, erscheint zynisch, denn den Flammen folgt nur die Asche, außer es gibt eine unbrennbare Idee, die weiter reicht und als Menschheitsbotschaft und geschichtliche Wahrheit die jeweiligen Henker überdauert. Dies aber ist nicht das Thema von Hans Dieter Schmidt, dies sind lediglich Ideologismen, die die Freiheit des Schreibers einengen und die frei verfügbare Gestaltung des Stoffes behindern.

Dabei ist das Stück selbst ein Marktplatz von Ideologismen, die es nicht nur zum Teil als Volksschwank diskreditieren, sondern politisch sehr nahe an der Offizial-Geschichtsschreibung der damaligen Zeit ansiedeln. Mit dem weisen Rudolf von Scherenberg, der Hans seine Rolle in väterlicher Manier beibringen will und auch sich - obwohl er objektiv Henker der Geschichte ist und das Vor-Urteil der Verbrennung des Pfeifers bereits in der Akte hat - als Sachzwang-Opfer der Geschichte fühlt, rehabilitierte Hans Dieter Schmidt die falsche Seite. Auch der Henker will von seinem Opfer die Absolution, im Grunde doch auch nur ein Opfer der Verhältnisse sein. Hier wird unverantwortlich verzerrt, politisch gefährlich ideologisiert. Auch die Frauenrolle als Abwiegler, überdimensioniertes Realitätsprinzip, "Kleine-Glücks-Apostelin" ist klischeehaft banal.

Niveaulos wird die latente Volkstümelei des Stückes bei der Szene, als sich Menschen mit unterschiedlichen Dialekten auf dem Dorfplatz treffen und dort nur dumme Sprüche ablassen, die eher auf einen Kappenabend der Mainzer Fastnacht passen als in ein historisches Drama. Die permanenten Sauf- und Wirtshausszenen mit den entsprechenden sexistischen Äußerungen mögen als Würze dem Autor dienlich sein, sind aber dann ungeeignet, wenn sie den Blick auf die Realität verstellen, denn das historische Landleben im 15. Jahrhundert hat sich am wenigsten im Wirtshaus abgespielt: die Arbeitssituation bleibt ausgespart, denn sie würde wesentlich zur Erhellung der Hintergrundsituation der Zeit beitragen. Die Bauern nur als Trunkenbolde darzustellen, ist der Tenor der Bauernkriegsgeschichtsschreibung der Sieger von 1525 und wurde vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann im Jubiläumsjahr der Bauernkriege 1975 zu Recht als undemokratische Gesinnung angeprangert."

 

 

Gunter Haug: Rebell in Herrgotts Namen.
Historischer Roman.
DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2004 (ISBN 3-87181-529-2).

Der Buchtitel „Rebell in Herrgotts Namen“ läßt jedem am Pfeifer vom Niklashausen Interessierten beunruhigt an historische Schieflagen im Roman von Gunter Haug denken, wissend dass der Pfeifer-Hans seine radikale Botschaft im Namen der Mutter Gottes legitimierte. Der historische Roman Haugs überzeugt aber recht schnell den Lesenden, dass der Autor seine literarischen Freiheiten tief getränkt mit intensiver Beschäftigung der geschichtlichen Person des Pfeifers hat. Insofern steht neben den wichtigen Arbeiten von Elmar Weiss „Der Pfeifer von Niklashausen“ (1984) und Klaus Arnold „Niklashausen 1476 – Quellen und Untersuchungen zur sozialreligiösen Bewegung des Hans Behem und zur Agrarstruktur eines spätmittelalterlichen Dorfes“ (1980) nun der aktuellste literarische Deutungsversuch über den Luther der bäuerischen Unterschichten bereit.

Historisch-literarische Versuche wagten schon Robert Schweichel 1874 (Der Pauker von Niklashausen), Richard Weitbrecht 1887 (Der Bauernpfeifer), Rudolf Kern 1902 (Hans Böhm, der Pfeifer von Niklashausen), Leo Weismantel 1919 (Die Kläuse von Niklashausen), Benno Rüttenauer 1924 (Der Pfeifer von Niklashausen), Will Vesper 1924 (Der Pfeifer von Niclashausen), Alexander Wedding 1955 (Die Fahne des Pfeiferhänsleins), Ludwig Strauss 1963 (Der Hirt von Niklashausen) u.a. Der aus Niklashausen stammende Franz Flegler, wichtigster Hüter und Pfleger der Erinnerung an den Pfeifer-Hans, publizierte seine Interpretation der „Die Wallfahrt nach der Freiheit“ 1988 im seinem Buch „Die Wahrheit wird den Pfeifer-Hans verklären und rücken in das rechte Licht“. Extravagant entfremdete Rainer Werner Fassbinder „Die Niklashäuser Fahrt“ 1970 in seinem Film in südamerikanische Verhältnisse und Guerillaaktionen. Trotz des starken Titels „Der kurze Sommer des Hans Beheim“ enttäuschte 1976 der Wertheimer Autor Hans Dieter Schmidt mit seiner wenig belegbaren, vielmehr herrschaftlichen Umdeutungen auf dem Leim gehenden naiven Interpretation des Pfeifer-Hans als einem fremdgesteuerten Jedermann.

Haug versucht auf literarisch-fiktionale Weise, die Fragen an das Auftreten des historischen Pfeifers von Niklashausen zu beantworten, wie ein ungebildeter junger Mann aus der bäuerlichen Unterschicht zum christlich-radikalen Propheten werden konnte, der mit seinen Worten und Ideen die Herzen und Köpfe der ärmeren Volksschichten erreichte. Er läßt den Pfeifer-Hans, als Schäfer in Niklashausen arbeitend, aus Helmstadt stammend, zum Beobachter der barbarischen zum-Tode-Schleifung eines Bauerns durch den Junker von Gamburg und seiner Reiter werden. Hier kommt es zur Konfrontation von Junker und Hans, der den Adligen zur Rede stellt. Dieser Bauer ist zudem der Vater einer jungen Frau, die zur Gefährtin des Pfeifers wird. Kurz darauf trifft der Pfeifer-Hans erneut auf Berittene dieses Adligen, die einen Waldenser am Kirchhof erstochen haben. Wiederum kommt es zu einer verbalen Auseinandersetzung. Anschließende Gespräch mit dem Dorfpfarrer und dem bei Niklashausen in einer Höhle lebenden Begharden öffnen dem Pfeifer-Hans die Augen, dass neben dem Adel auch die Kirche zu unrechtmäßigen und verderbten Blutsaugern der Bevölkerungsmassen geworden waren. Am Sonntag Laetare, an dem der Winter vertrieben wird, bricht in Hans der Prophet erstmals durch. Zunächst spielt er den Tanzwütigen entfesselt mit seinem Musikinstrumenten auf, erlebt dann noch die Schimpftirade eines Wanderpredigers auf das Amüsement des anwesenden Jungvolkes, um dann nach einigem inneren Ringen die Befreiungsbotschaft in Namen der Mutter Gottes zu verkünden.

Die Botschaften des Pfeifers an die Volksmassen, sind leicht verständliche Thesen, die weniger formalen bzw. logischen Regeln folgen, sondern eine revolutionäre Dialektik der Befreiung offenbaren. Das Volk hört und empfängt sozial-revolutionäre Botschaften, die einfach anzunehmen sind, keinem Fundament von Bildungswissen unterworfen sind, sondern die Zeichen der Zeit formulieren. Auch Haug läßt sich nicht auf den Deutungszug ein, der den Pfeifer als ein Sprachrohr eingeblasener Sätze reduzieren will, vielmehr entwickelt sich die Persönlichkeit des Pfeifers, begleitet vom Ortspfarrer und einem bibelkundigen Begharden, aus sich selbst heraus mit dem verfestigten klaren, immer weniger von inneren Zweifeln getrübten Bewusstsein, die wahre Botschaft seiner Zeit zu verkünden. Der Pfeifer war Luther weit voraus, seine in bäurisch-ländliche Bilder gemalte Worte über menschliche Gleichheit in die leicht verständliche lebensweltliche Sprache einzubinden und damit die Massen zu erreichen und zu bewegen. Der Pfeifer von Niklashausen predigte erstmals die Bibel in deutscher Sprache, wenn auch in wesentlich revolutionärer Auslegung als dies später Luther leistete.

Das war, was den Pfeifer zum Propheten im Taubertal machte: Er predigte christliche Botschaften, stieß die Herrschaft, den Kaiser und die Geistlichkeit von ihren Sockeln, benannte die Volksmassen als das Subjekt kommender Veränderungen – und das alles in einer verständlichen deutschen mundartlichen Volkssprache, fern vom abstraktem Latein, mit dem die Kirche die Religion und die Bibel zur Geheimsprache machte. Haug läßt zudem den Pfeifer seines Buches in einem heute verständlichen Hochdeutsch sprechen, so dass mit seinem Roman auch heutigen jungen Lesern der Zugang zum Pfeifer und seinen Worten leicht möglich ist. Während der Pfeifer-Hans in Niklashausen Massen bewegte, vergnügte sich der Würzburgische Bischof Rudolf von Scherenberg nicht nur mit einer drallen Weibsperson im bischöflichen Lotterbett, sondern ließ den Pfeifer nach Geheimverhandlungen mit dem mainzischen Bischof entführen und nach einem Schauprozeß in Würzburg auf dem Schottenanger verbrennen. Die Einzigartigkeit des Pfeifers in der deutschen Geschichte und seine Botschaften liessen sich indes nicht verbrennen. Bücher wie die von Gunter Haug bewahren diese Geschichte und tragen sie für die heutige Generation fort, entwickeln sie weiter und fordern zum Neuentdecken des Pfeifer-Hans auf.

 

 

Uwe Klausner: Hans der Pfeifer. Herausgeber: Förderverein Niklashausen e. V. Niklashausen 2005

Kaum war Gunter Haugs historischer Roman zum Pfeifer von Niklashausen ins regionale Rampenlicht getreten, folgt ein weiterer historischer Roman zum selben Thema! Allerdings hatte Klausner seinen Pfeifer schon seit 2 Jahren fertig in der Schublade, als der Förderverein Niklashausen sich entschloss, das Buch zum großen Heimatsohn zu veröffentlichen. Klausners Roman erscheint allerdings als äußerst konstruiert und diese ausschweifende, ausholende, die historischen Gegebenheiten verlassende Konstruiertheit lässt den Pfeifer-Hans schwach aussehen, denn im immer undurchsichtiger werdenden Gestrüpp der vielfältigen Handlungsstränge, in der zu viele Romanfiguren ihr eigenes Süppchen kochen, geht die Titelperson ziemlich unter und fällt auch noch unter dem Einfluß einer Räuberbande, die den Pfeifer-Hans für ihre Zwecke missbrauchen will. Hier wird der historische Roman Klausners zu unhistorisch und schwächt mit ihren vom Autor hinzu erfundenen Stories zu sehr die Historie des Pfeifers, auf die es ankäme, sie getreuer zu erzählen.

Dem Pfeifer wird gewaltig ohrengeblasen, vom fettleibigen, nur am eigenen Vorteil interessierten Dorfpfarrer von Niklashausen, der nur seinen Beutel füllen will; der wird wieder von einer Magd geschröpft, die das Bett mit dem Pfarrer teilt und auch den Pfeifer-Hans mit ihrer prallen körperlichen Fülle sexuell überwältigt. Ohrenblaserei durch einen, der selber in ideologischer, prophetischer Hinsicht völlig schwach auftritt! Der Begharde Klausners ist zu sehr mit seiner eigenen Familiengeschichte mit einem plötzlich aufgefundenem Sohn beschäftigt, um dem Pfeifer Ratschläge geben zu können. Wenn die beiden von der historischen Geschichtsschreibung verdächtigten Ohrenbläser – der Ortspfarrer und der Begharde – als innovative Personen ausfallen, muß der Autor eine Ersatzohrenbläserei auftreten lassen. Der Graf von Wertheim möchte seinen geldlichen Anteil an der Wallfahrt und lässt durch einen Notarius, dem Vorsteher seiner gräflichen Kanzlei, den Pfarrer buchhalterisch überwachen. Der Sekretär wiederum will die eigene Tasche füllen und macht gemeine Sache mit der listigen Magd. Noch nicht genug mit der eigenen Taschenfüllerei in diesem Roman. Klausners ureigene Einführung, der „König der Bettler“ und seine Halsabschneiderbande machen sich in Niklashausen breit, nehmen den Pfeifer ideologisch in Beschlag, werden zu den einflussreichen Ohrenbläser des Pfeifers in seiner radikalisierenden Phase und versuchen ebenfalls die Verdienstquellen des Pfarrers beim Verkauf von religiösen Schnickschnack an die Wallfahrer für sich abzuzwacken.

Klausner banalisiert damit den Pfeifer-Hans zum manipulierten Verkünder einer Räuberbande, die den Aufstand gegen Obrigkeit, Geistlichkeit und Pfeffersäcke wagen will! Räuberaufstand statt Volksaufstand. Ein schwerer Schlag gegen die Botschaften des Pfeifer-Hans, der auch nicht mehr durch die spätere Selbsterkenntnis des Pfeifer-Hans zu bessern ist, von einer Räuberbande beeinflusst worden zu sein. In und um Niklashausen herum scheint zudem die Zeit der logischen Schlüsse und des mit krimineller Energie versehenen Menschenverstandes angebrochen zu sein, den viel zu viele Personen erkennen, dass sie aus dem Auftreten des Pfeifers ihren eigenen Vorteil erzielen können! Klausner opfert seinen Handlungsebenen die eigentlich darzustellende und zu interpretierende Botschaft des Pfeifer-Hans und lässt diesen zum Schluss als reinen törichten Marienschwärmer sterben. Selbst eine bei Klausner mögliche Befreiung des Pfeifer-Hans aus dem Kerker lehnt dieser ab, während der mit Hans gefangene Begharde aus dem Würzburger Gefängnis fliehen kann. Die wichtigen Fragen, warum der Pfeifer von Niklashausen seine Botschaften formulieren und verkünden kann, woher der Impetus kommt dies zu tun, wie ein einfacher Hirtenjunge die Zeichen der Zeit verkünden kann, werden bei Klausner simplifiziert! Die Räuber waren es! Die Räuber in Niklashausen sind zwar Klausners originelle Erfindung, aber die hat keine Quota Originales. Aber beim Pfeifer-Hans ist uns Originales weitaus wichtiger als erfundenes Originelles.

Als historischer, besser historisierender Roman ist das Buch Klausners durchaus lesbar, das soll bei aller Kritik deutlich werden, aber es trägt keine besonders gelungene historische Interpretation des Pfeifer-Hans in sich. Der Autor hat angekündigt, demnächst einen mittelalterlichen Mönchskrimi zu veröffentlichen. Mit dem Pfeifer-Hans hat Klausner ebenfalls eine Art Krimi publiziert, indem der Pfeifer von Niklashausen in einer Nebenrolle mitspielt.

 

 

Niklashauser Fart

Ein Film von Rainer Werner Fassbinder und Michael Fengler. Gedreht im Mai 1970 mit Michael König, Hanna Schygulla, Rainer Werner Fassbinder, Michael Gordon, Walter Sedlmayr, Margit Carstensen, Kurt Raab, Günther Rupp, Günther Kaufmann u.a. Kamera: Dietrich Lohmann. Musik: Peer Raben, Amon Düül II.
DVD Video, Arthaus, Kinowelt 2005

Wie lange haben wir darauf warten müssen? Im Oktober 1970 erfolgte die Uraufführung der Fassbinderischen „Niklashauser Fart“ in der ARD und danach war für dieses Werk, das ein wichtiges Kapitel der tauberfränkischen Geschichte im Titel führt, absolute Sendepause. Versuche den Film aufzuführen, scheiterten an der Aussage, der Film sei beschädigt; ein angesetzter Sendetermin im Fernsehen wurde glatt abgesetzt. Und nun legt die Kinowelt zum 60. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder Ende 2005 eine DVD vor, die die Niklashauser Fart im Heimkino ermöglicht.

Selbstverständlich ist das Auftreten des Pfeifer-Hans von Niklashausen im März 1476 historischer Stoff genug, die aufbrechende Zeit und die ihre Zeit in Worte packende Botschaften des Pfeifers zu interpretieren und zu vermitteln. Der am „Antiteater“ involvierte Fassbinder hält sich nicht an diese Selbstverständlichkeit, sondern nutzt den historischen Stoff um den 70er Jahren den Revolutionär zu machen. Was hätte das für ein historisches Ereignis für Tauberfranken werden können, wenn Fassbinder die Niklashauser Fart geschichtlich und regional interessiert inszeniert hätte? Selten war in Tauberfranken die Irritation über einen Film in einem solchen Maß erreicht wie in der Niklashauser Fart. Ein regionalgeschichtlicher Filmbezug ohne jeglichen Bezug auf die eigentliche tauberfränkische Region – ein echter Antiregiofilm –, das konnte wohl nur einem bayerischen Regisseur einfallen!

Und als der Film begann, kam es noch verfremdeter! Ein unverputzter Neubau mit nackten Backsteinen, in dem Fassbinder, Schygulla und ein in historisches Gewand Gehüllter umherspazieren und unvermittelt über allerlei revolutionäre Leitkulturfragen disputieren: Wer braucht die Revolution? Wer macht die Revolution? Wer bereitet sie vor? Dürfen einige wenige eine Revolution machen? Dürfen diese Wenigen, wenn die revolutionäre Agitation nicht verfängt, andere Mittel einsetzen? Dürfen Wenige eine Revolution inszenieren? Dürfen die Wenigen Theateraffekte verwenden, um die Agitation wirksamer zu machen? Was sollte das? Was hatte das mit dem Pfeifer von Niklashausen zu tun? Was hatte die wenig fortgeschrittene Baustelle der Revolution mit der Niklashauser Fart gemein?

Fassbinder schert sich nicht im Geringsten um die Historie, um geschichtliche Exaktheiten. Er will die Gegenwart, die Fragen der Gegenwart, die Zeichen der Zeit, - bzw. das was man in den 70er Jahren dafür hielt - aufbereiten. Ein wilder Kulturmix der Zeitstile, der Moden, der Kleidungen, der Ereignisse wird von ihm angestrebt, damit sich auf keinem Fall irgendeine historische Behaglichkeit beim Zuschauenden einschleichen kann. Der Zuschauer kriegt auf entstellende Weise aufs Auge gedrückt, dass es hier nicht um die Vergangenheit geht, dass hier keine kontemplative Zuschauerei erwünscht ist, die die Geschichte im Ohrensessel sitzend vorbeigleiten lässt. Geschichte wird gemacht, es geht voran! Noch aber fehlt der Revolution die Masse, das revolutionäre Volk. Wie die Massen bewegen, in Bewegung bringen? Etwa mit Religion, dem adäquaten Opium für das Volk?

In der zweiten Filmszene tritt endlich der längst Erwartete vor dem Eingang einer Dorfkirche in Erscheinung: Hans, der smarte Hippie mit der scharfen Botschaft, die in dieser Filmszene noch stark marienreligiös eingenebelt ist: „Tuet Buße, huldigt der Jungfrau“. Aber auch schon die bekannten Quertöne des Pfeifers: „Ihr sollt den Adel schlagen, wo Ihr ihn trefft“, „Auf zur Wallfahrt nach Niklashausen“. Wieder findet die Perspektive der unruhigen Kamera die ungewohnte Verklammerung von Historie und Gegenwart, der Pfeifer im historischen Gewande, Fassbinder in Lederjacke, ein Dörfler im auffällig unschicken Sonntagsanzug, der Szene abgewandt.

Rainer Werner Fassbinder, entweder mit Kippe oder Bierflasche bewaffnet, den schwarzen Mönch gebend, also den historisch bekannten Einsiedler-Begharden, entspricht genau der Rolle des Einblasenden, mit der viele Pfeifer-Interpreten die Gedanken und Worten des Pfeifers niederdrücken wollen, um den revolutionären Gehalt der pfeiferischen Botschaften anzuschwärzen. Der filmende, einübende, eintrichternde und darstellende Regisseur als Regisseur der aktuellen Revolution – eine Wunschrolle Fassbinders? Wer das Fassbinder eingeblasen hat?

In mehreren Szenen wagt sich Mönch Fassbinder und ihm folgend der Pfeifer-Hans an die Bestimmung des kapitalistischen Warenwertes, an den darin enthaltenden Wert der eingebrachten Arbeitszeit heran. Das erinnert an die jeden Gedanken an eine Umwälzung der Gegenwart vertreibenden Schulungen der Marx’schen Kapitallehre, mit der die Linke die arbeitende Bevölkerung in den 70er Jahre zur Bewusstseinsbildung traktieren wollte. Bei solchen anstrengenden Gedankenübungen blieb der Prolet doch lieber beim vom ihm bevorzugten Genuß der Bildzeitung, die seinen aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnissen weitaus mehr entsprach. Eher erlernte ein Manager aus der Marxlektüre den Produktionsprozeß des Kapitals zu verstehen als dass ein Prolet seine knappe Freizeit in die Bestimmung des Tauschwertes „20 Ellen Leinwand = 1 Rock“(Im Film geht es angepaßter um das Verhältnis Aufwand der Jagd auf einen Bären zu der auf einen Hirsch) investierte. Mit derlei Abstraktionen war nun wahrlich kaum eine Revolution zu machen, höchstens marxistisches Halbwissen und Ka(u)derwelsch zu dokumentieren.

Die Kritik der politischen Ökonomie, die Darstellung des Produktionsprozesses des Kapitals – eine echte Durststrecke für jeden, der nicht die blauen Bände der MEW sein eigen nennt! Und dann doch eine echte Offenbarung in all dem gesellschaftlichen Elend der Verhältnisse: Hanna Schygulla, das sexy Gesicht der Revolution, spielt die Rolle der Johanna so aufreizend erotisch, dass sich wiederum jede revolutionäre Bewegung begrüßen lässt, die solche Frauenbilder hervorbringt. Als „Unsere heilige Jungfrau“ auftretend bringt sie beim Betrachter unheilige Wünsche empor, als Stimme der Revolution legt sie der Mutter Gottes knallhart formulierte Angriffe auf die Herrschenden in den Mund, das bäuerische Volk auffordernd die Zeichen eines notwendigen Widerstandes zu erkennen, um den gewaltsamen Aufstand zu wagen. Eros für das Volk, das wahre Opium!

Doch der Fassbinderische Pfeifer, trotz leichter, schneller Anfangskontakte mit der ihm umturtelnden, ihn begehrenden Johanna, vertraut mehr seinen marienkultigen Eingebungen, seinen radikalisierenden Botschaften als seiner eigenen Körperlichkeit, versteht nicht die Warnungen von Johanna, die ihn ob seiner bäuerlichen Naivität, ob seiner Fremdsteuerung aufklären will. Der Pfeifer-Hans tritt immer sozialistisch bewusster auf, versingt sich aber in einem Loblied auf Lenin. Körperlicher geht es dagegen beim Angriffsobjekt des Pfeifers zu, dem Bischof, der in seiner Residenz, einem wahren Lotterladen, von jungen Lustknaben umringt wird. Kurt Raab als jugendlich lüstener Bischof wälzt sich mehr im Liebesvergnügen mit dem zahlreichen männlichen Personal umher als dass er als Bischof waltet oder Macht entfaltet. Ein Bewohner des Dorfes Niklashausen, dem Bischof treu ergeben, als Spitzel dienend, informiert über die Aktivitäten des Pfeifers und seiner Anhänger, über das Ziel, ihn den Bischof anzugreifen; das Dorf selbst liefert den Pfeifer an die Oligarchie aus, das Dorf frisst die eigene Revolution.

Günther Kaufmann, in der Niklashauser Fart der adonishaft wirkende Jimi Hendrix der bäuerlichen Revolution, ist bei einem kurzen musikalischen Auftritt von Amon Düül II - der diletantisch westdeutschen Vermischung von Frank Zappa und Jefferson Airplane -, der bei weitem nicht ganz so chaotisch verläuft, wie uns die laue Erinnerung an die 70er vorgibt, in einer bequemen Liegeposition zu beobachten, von mehreren Frauen umlagert, die seinen Körper bestreicheln. Auch hier die obligatorische Zigarette im Einsatz. Ansonsten eher gedämpfte Ekstase, eine spärlich entwickelte Orgie, mehr Alkohol als Joint im Spiel; eine Cocacolaflasche demonstriert, dass es mit dem Antiamerikanismus der 70er Jahre nicht weit her war. Er übernimmt die Rolle des Commandante, des revolutionären und bewaffneten Führers der Stadtguerilla, die sich zum Kampf stellt, die Revolutionshoffnungen weiterträgt, auch nachdem die Niklashauser Fart den Pfeifer-Hans nach seiner Gefangennahme auf den Scheiterhaufen führt, die Anhänger des Pfeifers von der MP des Bischofs niedergemetzelt wurden. Hans wird auf einem Autofriedhof verbrannt, der Bischof fährt mit einem Mercedes 600 mit Münchener Kennzeichen vor, gibt seinen Segen dazu, der Chor seiner Lustknaben trällert als Ensemble unkeuscher Domspatzen.

Fassbinder lässt die Niklashauser Fahrt nicht mit der Verbrennung des Pfeifers, mit der Niederlage der Aufständischen enden, sondern hebt mehrfach zum revolutionären Schlussakkord an. Aus Niederlagen muß die Revolution lernen, die Taktik ändern, die proletarische Weltrevolution anstreben, die gesellschaftlichen Verhältnisse entscheidend verändern. Nochmals folgt ein Auftritt auf der Baustelle der Revolution, ein Traktat wird vorgelesen über die echten Bedürfnisse des Menschen. Echte Bedürfnisse werden sich erst in der Revolution entwickeln, erst mit der Revolution herausarbeiten. Diese Botschaft kommt allerdings dem Erlebnis orientierten Mensch der heutigen Zeit mit seinen voll ausdifferenzierten individualgesellschaftlichen Bedürfnissen etwas schräg daher und riecht eher nach Verzicht, wirkt eher als Reduktion des längst persönlich gestalteten Lebensstiles. Commandante Kaufmann führt seine Volksmassen zum Sturm auf die armierten Bastionen der Macht, er fuchtelt wild mit seiner Waffe umher und stößt den Slogan der 70er aus: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ In der Verschmelzung von Zeit und Raum, von Historie und 70er Jahre Gegenwart ist die Niklashauser Fahrt auch ein prophetischer Film über das Scheitern der Roten Armee Fraktion, über die lächerlich grotesken Anmaßungen der maoistisch orientierten K-Gruppen, kaderhaft organisierte Anführer der westdeutschen proletarischen Bewegung zu sein.

Lassen wir Rainer Werner Fassbinder sprechen – in der Diskussion mit Michael Fengler, dem Co-Regisseur, um seine Intentionen der wenig historisch angelegten Inszenierung der Niklashauser Fart zu verdeutlichen:

„Die Geschichte des Films ist einfach. Da kommt einer und möchte gerne, dass die Leute ihre miesen Verhältnisse ändern. Dazu will er die Leute aufrufen. Aber zunächst einmal aber muss er sie dazu bringen, ihm überhaupt zuzuhören und ihm zu glauben. Er ist also gezwungen, mit Mitteln zu arbeiten, die den Leuten vertraut sind. Schließlich hat er sie auf seine Seite gebracht, aber mit den Mitteln von gestern. Und mit dem, was er ihnen jetzt über die schöne Zukunft von morgen sagt, können sie nichts anfangen. Es ist Teil ihrer miesen Lage, dass sie sich eine andere gar nicht mehr vorstellen können.

Hans Böhm scheitert daran, dass er die Aufklärung herzustellen versucht mit Techniken der Gegenaufklärung. Aber wie hätte er seine Arbeit sonst tun sollen?

Wir wollen keinen historischen Film machen, sondern wir wollen zeigen, wie und warum eine Revolution  scheitert. Dazu müssen wir jede historische Begrenzung, die uns dabei beengen würde, bewusst vernichten. Der Zuschauer darf nicht auf den Gedanken kommen: Ach ja, das geschah 1476. So ein Gedanke würde ihn beruhigen, aber er soll ja beunruhigt werden beim Zuschauen. Er soll sich ganz darauf konzentrieren, was die Leute in dem Film tun, nicht darauf, was sie dabei anhaben.”

(Aus: Was wichtig ist. Rainer Werner Fassbinder und Michael Fengler über DIE NIKLASHAUSER FART. Aus einem Gespräch während der Dreharbeiten. In: Fernsehspiele im Westdeutschen Rundfunk Zweites Halbjahr 1970, S. 42-43. Siehe auch: Fassbinder Foundation - Niklashauser fart)

Insofern wurde der Pfeifer aus seiner angestammten Region Tauberfranken entführt, spielte die Geschichte des Pfeifers kaum eine Rolle, interessierte der historische Kontext wenig, wurde die Niklashauser Fart zum Teil der Weltrevolution, war der Jüngling in seinem 70er Jahre Gegenwartsbezug dem regionalgeschichtlich Interessierten völlig entfremdet. Fassbinder ist es gelungen, in der Niklashauser Fart die tauberfränkische Geschichts-Ästhetik genauso zerdeppernd zu zerschlagen wie der Dorfrichter Adam den Krug. So wurde der Pfeifer-Hans als historischer Stoff auf dem Altar der Weltrevolution geopfert. Die Weltrevolution indes blieb aber bis heute aus.

 

 

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