KUNST
TILMAN RIEMENSCHNEIDER
Tilman Riemenschneider
- Eindrücke angesichts des Selbstbildnisses
am Creglinger Altar -
Traurig geht der Blick in die Geschichte. Der weinende, verlassene Christus dringt durch seine Augen. Das Gesicht schweigt und spricht doch so viel. Vom Leid der Zeit, der Ungnade des Lebens kündet der erstarrte Schriftgelehrte. Unter dem Glanz des aufgebreiteten Altars hat er sich versteckt und betrachtet mißtrauisch sein Lebenswerk. Die Jahre durchfurchen sein Gesicht, die Tage sind gehauen in Holz. Und dennoch schnitzt sich ein hoffnungsvoller Schimmer, eine stilles Lächeln, durch die harten Züge Resignation.
Hier blickt der Meister voraus und doch zurück. Hier wird sein Leben erzählt, obwohl seine eigentliche Tat noch in der Zukunft liegt. Hier dringt etwas ins Leben, das spricht trotz gebrochener Sprache und gerade wegen der gebrochenen Hände.
Aus: Albert Herrenknecht, Heimat Los. Wortmeldungen aus der Provinz. München 1983, Seite 67
Tilman Röhrig: Riemenschneider. Historischer Roman. Piper Verlag. München, Zürich 2007.
In diesem 600 Seiten umfassenden historisierenden Roman arbeitet der Autor mit mehreren Parallelmontagen. Neben Arbeiten und Leben des späten Riemenschneiders werden noch ausschnittsweise Einblicke in biografische Entwicklungen von Martin Luther, Götz von Berlichingen und Joß Fritz gesetzt, um den historischen Zeitgeist (Theologie, niederer Adelstand, Bauernaufstand) herauszuarbeiten. Wie bei historischen Roman üblich, wiederholt der Autor nicht nur geschichtliche Ereignisse, sondern führt neben der Eigeninterpretation der geschichtlichen Fakten schriftstellerische Innovationen ein. So auch die Figur der Magdalena, die Riemenschneider als Vorbild für seine nackte Eva am Portal der Würzburger Marienkapelle Modell steht, ihm in all seinen Ehen als Magd und wahre Geliebte dient. Röhrig läßt Riemenschneider voll in seiner Arbeit aufgehen, als etwas blind gegenüber den familiären Bedürfnissen auftreten, durchaus eingefangen in die Ränkepolitik als Würzburger Stadtrat und Bürgermeister. Röhrig kappt zudem jegliches Engagement Riemenschneiders für den bäuerlichen Aufstand.
In der Darstellung des Bauernkrieges liegt auch die große Schwäche dieses Romans, da die aufständischen Bauern und Bürger eher als Rauf- und Saufbolde, Aufschneider, Verführte, enthemmte Plünderer und Mörder usw. dargestellt werden. Röhrig fällt hier weit zurück in alte Beschreibungsformen. Dass die Schlacht von Königshofen nach alten, falschen Darstellungen gezeichnet wird, erscheint so als fast logisch. Gelungener ist das Treffen Martin Luthers mit Tilman Riemenschneider auf einem Empfang des Würzburger Bischofs beschrieben. Luther wirft Riemenschneider vor, seine Altäre mit den wunderschönen Mutter Gottes Figuren würde den Glauben behindern. Das sich herausentwickelnde reformatorische Bildprogramm oder gar kommende Bilderstürme werden hier angedeutet. Riemenschneider denkt über seine Rolle als Bildschnitzer und Bildhauer in einer kommenden Reformation nach, die seine Arbeiten überflüssig machen würde. Damit will Röhrig andeuten, dass Riemenschneider kein besonderes Interesse an reformatorischen Bestrebungen - wie der Bauernkrieg eine war - gehabt haben könnte.
Riemenschneiders entscheidender und einziger Beitrag zum Verlauf des Bauernkrieges und Würzburger Bürgeraufstandes wird in der Überbringung der Informationen von Hans Bermeter an den Stadtrat gesehen,, dass der Bischof in seinem Stadthof rüsten läßt, Bestrafungen an Würzburger Bürger vornehmen lassen will, was die Haltung des Würzburger Rates und der Würzburger Bürger stark beeinflusste. Dafür landet Riemenschneider auch einige Zeit im Gefängnisturm. Aus der Haft entlassen, denkt der Meister in Röhrigs Roman an nichts anderes, als weitere Werke zu schnitzen.
Ein gut lesbarer historischer Roman, der aber schwere Schwächen im Nachvollzug des Bauernkrieges aufweist.
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