TESTSTRECKE
Der Bundschuh-Widerstand - Seit dem Frühjahr 1978 wehren sich im "Badischen Frankenland" Bauern, Jugendliche und Umweltschützer gegen die geplante Daimler-Benz-Teststrecke im Raum Boxberg. Seit ihrer ersten Aktion im Frühjahr 1978 begleitet das Bundschuh-Symbol den Widerstand. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, wenn auch die Organisation des Widerstandes, die Bundschuh-Genossenschaft, diesen Namen trägt. Sie wurde im Januar 1979 zur Verbreiterung des Widerstandes gegründet und versucht, durch Bundschuh-Anteile die Kosten des Widerstandes (Prozeßkosten, Öffentlichkeitsarbeit) auf möglichst viele Personen zu verteilen. Das Bundschuh-Symbol wurde zum Wappen dieser Bewegung. Der Pflug, das Wappen des Dorfes Schwabhausen, das Zentrum des Widerstandes ist, wurde mit einer Bundschuh-Fahne verziert und somit zum Symbol des politischen Widerstandes gegen die Teststrecke. Dieses Emblem taucht in allen Publikationen des Bundschuhs auf und ziert in tausendfacher Auflage viele Fahrzeuge als Aufkleber. Bei jeder Veranstaltung des Bundschuhs tauchten neue Bundschuh-Fahnen auf, die nicht nur Symbole dieses Kampfes, sondern zu einem generellen Widerstands-Symbol der politischen Bewegung wurde. Der Bezug zum Bauernkrieg in Franken wurde in Schwabhausen im Juni 1979 aktuell und konkret hergestellt, als die Badische Landesbühne in einer begeisternden Freilichtaufführung neben dem Gemeindehaus die Bauernoper von Yaak Karsunke aufführte. Dies war ein Schritt zu einer neuen Dorfkultur, die politischen Widerstand, Geschichte und Dorffest in eine neue Verbindung zueinander brachte. Auf dem Hintergrund des aktuellen Widerstandes war diese Aufführung ein besonderes Politikum und eine praktische Unterstützung. Spätestens seit September 1979 wurde dann die Verbindung "Bauernkriegstradition und Bundschuh-Widerstand" geschlossen. Der Bundschuh hatte zu einem Bauernheerlager mitten im Testgelände aufgerufen. Die beiden Aussiedlerhöfe, die strategischen Punkte des Widerstandes, wurden dazu befestigt: eine Wagenburg wurde errichtet, eine Kanone schußbereit in Stellung gebracht, Dreschflegel, Gabeln und Hellebarden standen bereit. In diesem echten Rund lagerte der Bauernhaufen, wurde heiße Suppe gereicht, viel geredet. Bauern in der Tracht der Bauernkriege, Bundschuh-Fahnen, Tiere in der Wagenburg, Planwagen und Geschütz ließen eine Scene aus dem Bauernkrieg lebendig wiederentstehen. Der Ausfall dieses Haufens hinüber zu dem Seehof, der bereits vom Fürst Leiningen-Amorbach an Daimler-Benz verkauft wurde, und an diesem Nachmittag symbolisch besetzt und von den Bauern mit Pferden, Planwagen und Hellebarden zurückerobert wurde, was faszinierend und hat den Bundschuh bundesweit durch seine phantasievollen Aktionen bekannt gemacht. Dieser Bauernhaufen unterschied sich von allen anderen Dorffesten mit Bauernlager, die sonst in der Region stattfinden dadurch, daß hier nicht nur gespielt wurde, sondern der Ernst, aber auch Spaß, einer politischen Aktion mitwirkte und dadurch mehr als nur ein folkloristische Show-Einlage ablief. Im Mai 1980 wurde auf den Aussiedlerhöfen im geplanten Testgelände während eines Bundschuh-Festes ein Bundschuh-Baum errichtet. An ihm baumeln viele Bundschuhe, die Bundschuh-Freunde mitgebracht haben und die deutlich zeigen sollen, daß dieses Land vom Bundschuh besetzt ist. Sollte diese symbolische Abschreckung nicht ausreichen, so werden diese Bundschuhe wieder lebendig werden, indem sie von den Bundschuh-Genossen wieder angezogen werden und damit zu den Füßen des Widerstandes gehören. Die Symbolik ist ein wesentliches Identifikationsmoment mit diesem Widerstand. Bundschuh-Fahnen und bunte Regenbogenfahnen, die Symbole des Bauernkrieges, sind in der Ökologiebewegung zu Symbolen des neuen politischen Widerstandes gegen Provinzverplanung und Umweltzerstörung geworden. Diese symbolische Anknüpfung ist aber keineswegs deckungsgleich mit einer bewußten geschichtlichen Wiederaufnahme. Der Bezug des Teststrecken-Widerstandes auf den Bauernkrieg war am Anfang diffus: Der Bauernkrieg hatte 1525 stattgefunden und heute gibt es wieder Widerstand von Bauern, deshalb das Auftauchen der Bundschuh-Fahne. Im Laufe des Widerstandes wurde der historische Bezug konkreter und schärfer. Die Geschichte wurde im Verlauf der Auseinandersetzung wieder gelernt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die Provinz-Regionalzeitung "Traum-a-Land", die vom Regionalzusammenschluß der Jugendzentren und JZ-Initiativen Franken-Hohenlohe herausgegeben wird, indem sie immer wieder durch Verwendung von Bauernkriegsholzschnitten, Texten, Montagen, die Verbindungen von Geschichte und Gegenwart herstellte. Wesentliche Lernimpulse innerhalb der Bürgerinitiative gingen vom Sprecher des Bundschuhs und einem durch den Widerstand politisierten Bauern aus. Durch die Symbolik der Aktionen wurden diese Lernprozesse noch verstärkt. Die Wiederbelebung des Bauernkrieges wurde zu einem wesentlichen Stabilisierungsfaktor und Identifikationspunkt des Bundschuhs, der mit dieser Verbindung von Geschichte und aktuellem Widerstand seine besondere Attraktion unter den großen Bürgerinitiativen erlangt hat. Der Teststrecken-Widerstand ist dabei ein wichtiges Moment der Re-Aktivierung und Wieder-Bewußtmachung von Geschichte in unserem Raum. Der Bauernkrieg hat dadurch bei vielen Jugendlichen an Interesse gewonnen. Dieser Anknüpfungspunkt an die verschütteten Traditionsinhalte des Bauernkrieges kann ein wichtiger Durchgang zu einer neuen Sichtweise des Bauernkrieges in der Region und anderswo werden, wenn das aufgebrochene Bewußtsein für Regionalgeschichte, Heimat und Provinz innerhalb der Linken es schafft, die alte Kultur von Unten aktiv und nicht nur rezeptiv in aktuelle politische Bewegungen mit einzubringen. In der Verknüpfung von Bundschuh-Genossenschaft und Traum-a-land e.V. scheint diese Synthese gelungen. Das jahrelange Ausharren von politisierten Jugendlichen in der Provinz, die trotz der Versuchungen der Großstädte in der Region geblieben sind und dort schwierige Provinzarbeit realisierten und ihre Lebensformen zu verwirklichen suchten, war die Voraussetzung dazu. Auch der aktuelle Widerstand von Unten hat seine Geschichte. Der neue Bauernkrieg in Franken Der langjährige Widerstand gegen eine geplante Teststrecke der Daimler-Benz AG im fränkischen Boxberg (Baden-Württemberg) war für diesen bis dahin Provinz ebliebenen Raum, indem noch traditional bestimmte Kulturformen und Lebensverhältnisse den Alltag beherrschten, eine Art "nachholende Revolution" (Jürgen Habermas) im regionalen Maßstab. Ein Teil der Bevölkerung, wenn auch der wesentlich kleinere, artikulierte das Recht einer Region auf ihre besondere Singularität, verteidigte die "minoritären Differenzen" (Jacques Derrida) gegen übermächtig scheinende Verheißungen der längst in die Krise geratenen Industriemoderne der siebziger Jahre. Die umweltbelastenden, raumverbrauchenden Konsequenzen eines naiv-universalistisch auftretenden Fortschrittsglaubens, die gigantischen Flächenbedürfnisse der sich heraus kristallisierenden "Industriefolgengesellschaft" (Ulrich Beck), bei der Stadtbevölkerung auf immer geringere Akzeptanz stoßend und damit in den urbanen Agglomerationen kaum noch durchsetzbar, sollten und mußten Ende der 70er Jahre in funktionalistisch räumlicher Arbeitsteilung auf's Land verlagert werden. Dort glaubten die Landespolitiker - auf geringen Widerstand hoffend - bei christlich konservativen Bevölkerungsschichten und in landwirtschaftlich geprägten Sozial- und Kulturmilieus breite Zustimmung zu finden, mit Arbeitsplatzversprechungen die aufzubürdenden zusätzlichen ökologischen Belastungen verdrängen zu können und im Stande zu sein, im blitzkriegsartigen Handstreich ihre Projekte durch die Kommunalparlamente zu jagen und durchzusetzen. Die selten erfahrbaren Doppeleigenschaften und -möglichkeiten von Geschichte wurden für die am Widerstand gegen die Teststrecke Beteiligten erlebbar und gestaltbar. Zum einen beschleunigte sich die Abfolge aktueller, für die Regionalgeschichte epochal werdender Ereignisse, verdichteten sich die Zeitintervalle der Erlebnisdimension und bildeten sich die Widerstandspersonen über ihre politische Praxis ein aktuelles Geschichtsbewußtsein. Zum anderen eröffneten die Aktionen der Teststreckengegner im Bundschuhzusammenschluß neue Zugänge zu den bisher überdeckten, kaum wahrgenommenen, vielmehr verleugneten oder gar verfälschten Schichtungen der Geschichtslandschaft Tauber-Frankens, indem wichtige kulturgeschichtliche Grundwasserpotentiale der Region im Bezug auf den Bundschuh von 1525, auf den Bauernkrieg vorort erschlossen wurden. Diese brisant auftretende Mischung aus realgeschichtlichem Up-To-Date-Sein der politischen Handlungen, dem permanenten Agieren sowie lokalen, regionalen und bundesweiten Protestmanifestationen und aus dem historischen Rekurs auf die regionale Widerstandsgeschichte entzündete die Phantasie der Teststreckengegner zu vielfältigen Handlungsformen und Veranstaltungen. Teilweise spektakuläre Aktionen mit bundesweiten Presseechos ließen den schwäbischen Weltkonzern - in der historischen Parallele der Part des Schwäbischen Bundes übernehmend - und seine aus der Stuttgarter Zentrale anreisenden Manager oft altbacken, unbeholfen schwerfällig, provinziell im negativen Sinne, geschichtlich zu sehr gefordert und letztendlich überfordert aussehen. So verlor ein sogenannter Boxberg-Beauftragter der Daimler-Benz-AG seine Aktentasche mit juristischen Expertisen, die den schwachen Rechtstandpunkt der Bebauungsspläne unterstrichen und Strategiepapieren, aus denen hervorging, daß der Konzern zur Einlösung der von ihm versprochenen Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung des Boxberger Raumes beabsichtigte, ca. 1000 Bocksbeutel fränkischen Weines zu ordern (und was den Konzern nach Veröffentlichung dieses Skandals zwang, tatsächlich Arbeitsplatzansiedlungen in Zuliefererbetrieben zu schaffen). Mit einem derart drastischen Mißverhältnis zwischen erklärten Absichten und Realisierungsbestrebungen konnte die Daimler-Benz AG trotz bemühter professioneller Public Relations der öffentlichkeits wirksamen "kulturellen Hegemonie" (Antonio Gramsci) der Bundschuhaktionen streckenweise wenig entgegensetzen. Auch das Einfließen der eigengeschichtlichen Erfahrungen der Jugendhausbewegung in der Provinz des Main-Tauber-Kreises, die die Bauern im Widerstand als erste Organisation aktiv unterstützte und ihr geschichtliches Wissen über den Pfeifer von Niklashausen und über den Bauernkrieg miteinbrachte, förderte die Dynamik der Protestformen und -aktionen. In einer historisch und regional neu möglichen Intergenerationenbeziehung begegneten sich die vorher nicht kompatiblen, eher ausschließenden, alte Sozialisationsbedingungen ablösenden Verhaltensweisen der 68er Schülergeneration und deren NachfolgerInnen in den ländlichen Jugendzentrums-Initiativen mit ihrem kleinstädtische Honorationenschaften provozierenden Hausbesetzungsbewußtsein und die ganz andere lebensweltliche Alltagskonstitution der Eigentum und Existenz verteidigenden, scholle-gebundenen Bauern aus dörflichem Eigensinn, agrikulturellem Erfahrungswissen und oft versteckter Bauernschläue. Damit besaß der Zusammenhang der Teststreckengegner ab dem Sommer 1978 multikulturelle Antriebskerne, die sich zwar nicht auf einen einheitlichen Nenner bringen ließen, unterschiedlichen Motivationen und Bedürfnislagen entstammten, aber gerade mit der neuartigen Abmischung und gegenseitigen Durchdringung verschiedenster Kultursphären der regionalen Unterdogs zu gemeinsamen und originären Aktionen und Demonstrationen führte. Nach und nach schlossen sich die politischen Kreisverbände von Jungdemokraten und Jungsozialisten, ein Landjugendverband, Personen aus der Agraropposition und dem biologischen, dynamischen, organischen Landbau und sogar bei Daimler-Benz Beschäftigte dem Widerstand an. Der Aufbau regionaler, bundesweiter und internationaler Verbindungen mit sozio-kulturell unterschiedlichen Gruppen und Personen belebte die regenbogen-farbene Fahne des Bundschuhs von 1525 mit aktuellen Inhalten und zeitgemäßen Lebensformen. Multikulturelle Pluralität, regionale Zusammenarbeit, neue zwischenmenschliche Beziehungen und Freundschaften, das Verhältnis von Personen aus Stadt und Land machten die besondere und anregende Qualität des Bundschuhwiderstandes der Anfangsjahre aus. Im Januar 1978 hatten Vertreter der Daimler-Benz AG sowie schon vorher eingeweihte und auf das Projekt eingeschworene Lokalpolitiker die Pläne verkündet, im Raum Boxberg mit den hauptsächlich betroffenen Orten Schwabhausen, Bobstadt und Assamstadt eine Teststrecke, euphemistisch von Daimler-Benz auch als Prüfgelände designed, zu errichten. Benötigt wurden für das Oval mit einer Gesamtlänge von ca. 5 Kilometern und ca. 2 Kilometern Breite, einer völlig versiegelten Wendeplatte mit 500 Metern Durchmessern und Fahrbahnbreiten bis zu 100 Meter über 700 ha Land, das sich größtenteils im bäuerlichen Eigentum oder in Pachtverhältnissen befand. Die restliche Fläche war Staatswald oder gehörte zu den 200 Hektar Acker des Seehofes im Besitz des Grafen zu Leiningen-Amorbach, dem eine Ersatzdomäne bei Schönthal – unter Ausschaltung der bisherigen bäuerlichen Pächter - angeboten wurde und der sich auch sofort verkaufsbereit zeigte. Daimler-Benz glaubte, mit dem Ankauf des Seehofes, der im Zentrum der geplanten Teststrecke lag, einen gravitätischen Sog auf die umliegenden Grundstückseigentümer ausüben zu können. Zugleich hoffte man wohl auf die psychologische Wirkung, daß Bauern und Eigentümer dem Beispiel ihres Lehensherren folgen würden, was auch zu einem großen Teil eintrat. Für den Neubau einer Bundesstraße, mit der die Teststrecke direkt an die BAB Heilbronn-Würzburg angeschlossen werden sollte und dem Anschluß des in nächster Nachbarschaft liegenden NATO-Tanklagers für Flugbenzin bestanden weitere Flächenansprüche. Im März 1978 konstituierte sich die Interessensgemeinschaft der von der Teststrecke betroffenen Grundstücksbesitzer, aus der im Januar 1979 die Bundschuh-Genossenschaft hervorging. Schon bei diesem ersten Widerstandstreffen stellten die Bauern selbständig die historische Parallele zum Bauernkrieg 1525 her, als im Veranstaltungssaal die Bundschuhfahne gehießt wurde. Schnell erlangte der Bundschuh als Widerstandszeichen Symbolkraft und wurde auch mit dem Wappen des Dorfes Schwabhausen, einem Pflug, verbunden. In Anlehnung an die zwölf Artikel von Memmingen veröffentlichten die Teststreckengegner ein Grundsatzprogramm der "Zwölf Artikel von Schwabhausen". Im Juli 1979 fand eine Freilichtaufführung der Bauernoper von Yaak Karsunke in Schwabhausen vor mehr als 1000 Zuschauern statt. Im September 1979 erlebte die historische Schlacht von Königshofen (vom 2. Juni 1525) auf dem Turmberg eine Wiederauferstehung, diesmal allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Die neuen Bundschuh-Bauern trugen wieder die Tracht von 1525, Bundschuhfahnen wehten, Hellebarden blitzten, Mistgabeln wurden geschwenkt, ein Geschütz lag in Stellung und aus einem in Anlehnung an die Wagenburg der Bauern von 1525 aufgestellten Rondell von Planwagen heraus, erstürmte ein Bauernhaufen symbolisch den verkauften Seehof des leiningischen Fürsten. Im Mai 1980 wurde der Bundschuhbaum erstellt, an dem viele Bundschuhe befestigt wurden, um die neu verlebendigte Bewegung des Widerstandes zu demonstrieren. Ein weiterer wichtiger Faktor des Bezugs auf den Bauernkrieg waren die Aktivitäten des aus der Jugendzentrumsbewegung heraus gegründeten Traum-a-Land Vereins, der als ein Vorläufer der Geschichtswerkstättenbewegung eine neue Kritische Heimat-Kunde ausprobierte, als im August 1980 eine Jugendgruppe auf den Spuren der Bauernhaufen die geschichtlichen Orten und Stätten in der Region anfuhr. Mit dem Ausstieg von Personen des Traum-a-Land e.V. und weiterer wichtiger Innovatoren aufgrund von Differenzen und unterschiedlichen Vorstellungen über die Politik der Bundschuh-Genossenschaft und dem Durchsetzen des "legalistischen" Flügels, der sich auf die juristische Auseinandersetzung konzentrierte, verlor der Bundschuh zunehmend seinen Bezug zu den historischen Wurzeln des Bauernkrieges. Im Herbst 1985 erfuhr die Tradition der Züge von Bauernhaufen eine kurze Renaissance, als der Bundschuh von Schwabhausen aus nach Karlsruhe vor das Bundesverfassungsgericht zog, um seine Verfassungsbeschwerde zu überreichen. Seinen letzten Höhepunkt erlebte der neue Bauernkrieg, als unter dem Schutz eines großen Polizeiaufgebotes der voreilige und gleichsam unsinnige Einschlag von ca. 90 000 Bäumen begann, widerstandsleistende Teststreckengegner durch den Schlamm des aufgeweichten Waldbodens gezogen und einer erkenntnisdienstlichen Nachbehandlung unterzogen wurden. Am 24.3.1987 stoppte die Entscheidung des Verfassungsgerichtes endgültig die Enteignungsversuche. Die Daimler-Benz-Teststrecke war, zumindest im Raum Boxberg, gestorben.
Ismet Yigit: Politische Public Relations von Großunternehmen. Erfolgsbedingungen am Beispiel Daimler-Benz Teststrecke in Boxberg. Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades Magister Artium der Geschichts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Universität Stuttgart - Institut für Sozialwissenschaften – Stuttgart 1999 Eine Arbeit wie die von Yigit nimmt man zunächst dankbar in die Hände. Schließlich bietet eine wissenschaftliche Arbeit, die einen Teil des eigenen Lebens betrifft, eine interessante Zeit politischen Widerstandes, diese Zeit etwas reflektierter in der Rückschau zu betrachten als dies die eigenen Mythen der Rückerinnerung erlauben würden, die vieles aus dieser Zeit subjektiv verklären würden. Yigit versucht anhand von vier Interviewpartnern, 2 von Daimler Benz und 2 auf Seiten des Bundschuh-Widerstands sowie Anhand einer qualitativen Untersuchung der lokalen und überegionalen Presseverlautbarungen den Ablauf, insbesondere aber die Public Relation von Daimler Benz und deren Widerhall in den Medien und in der Öffentlichkeit offen zu legen. Die Seite der Public Relation des Widerstands, die aus einer zunächst in die Defensive gedrängten Haltung der sich widersetzenden Bauern sich zunehmend entwickelte und über Aufgreifen regionaler historischer Widerstandsbezüge (Bundschuh, Bauernkrieg 1525, Gründung der Bundschuh-Genossenschaft usw.) eine äußerst attraktive, phantasiereiche Widerstands Public Relation entwickelte und die Public Relation des Großkonzerns oft sehr schwach aussehen ließ, bleibt leider in der Arbeit Yigits unberücksichtigt. Damit wird auch die Situation der Public Relation Daimler-Benz, nach der anfänglich leichten Überrumpelung der Boxberger Bauern und deren Einstufung als Minorität in der Region, selbst durch die oft überraschenden öffentlichkeitswirksamen Aktionen des Widerstands in die Defensive geraten, mit dem Verlust des Agierens, oft rein reaktiv hilflos wirkend, nicht entsprechend dargestellt und erklärt. Die vier Interviews werden in ihrem vollem Wortlaut wiedergegeben und in einem Interview mit einem der Daimler-Benz Verantwortlichen kommt auch die fehl geschlagene Public Relation Arbeit von Daimler-Benz deutlich heraus: „Wir haben die Presse vor Ort offen informiert, es war alles öffentlich, wir hatten nichts zu verbergen. Aus meiner Sicht war gerade die regionale Presse ganz auf unserer Seite, hat das Projekt absolut befürwortet. Die Gegner waren hier ausgegrenzt. Sie waren, um das hier auch noch mal zu sagen, auch in der Bevölkerung ausgegrenzt. Die Kommune, die Bevölkerung, die Presse, wir und das Land, das war im Prinzip eine Einheit. Ich kenne nicht einmal eine Presseveröffentlichung, die gegen das Projekt gewesen ist. Alle waren offen angetan von dem Projekt.“ Ausgegrenzt! Genau das gibt die Art der Daimler-Benzschen Public Relation wieder: Statt Kommunikation Ausgrenzung der eigentlich Betroffenen. Die nicht direkt betroffene Bevölkerung, die Mehrheit der nicht direkt betroffenen Bevölkerungsmehrheit in dieser Region konnte Daimler-Benz leicht erreichen, wie wohl jeder Weihnachtsmann der Geschenke verteilt. Aber diejenigen, auf deren Kosten bzw. Grundstücke Daimler-Benz seine Geschenke an die Region verteilen wollte, wurden ausgegrenzt, an den Rand gedrängt. Die Ausgrenzung der betroffenen Bauern und Grundstückseigentümer war zunächst Daimler-Benz mit der praktizierten Überrumpelungstaktik der vollendeten Tatsachen und der Entweder-Oder-Strategie gelungen. Die bäuerliche Sprache des Widerstands trat christlich fundamentiert auf, fand aber in der Öffentlichkeit wenig Widerklang. Erst in der von keinem der Verantwortlichen vorhergesehenen Zusammenarbeit von Landwirten, Grundstückseigentümern und den Jugendhausinitiativen der Region fand der Widerstand eine breitere Form, die sich in einer regionalen und überregionalen Öffentlichkeit rasch erweiterte. Neue Persönlichkeiten mit intellektuellem, juristischem, phantasiereichem, emotionalem, ökologischem Potential stießen zum Widerstand, brachten ihre bunten Ideen ein. Der Bundschuhwiderstand wurde zu einem bundesweiten Symbol und konnte die regionale Ausgrenzung kraftvoll und willensstark überwinden. Leider geht Yigit nicht auf diese sich entwickelnde und entscheidende Dialektik der Public Relation von Daimler Benz und des Bundschuhs ein. Der Druck von Daimler-Benz fand einen enormen Gegendruck in der Öffentlichkeitsarbeit des Bundschuhs, in der die Auseinandersetzung zwischen Daimler-Benz und Bundschuh zeitweise wie die Neuauflage des Bauernkrieges von 1525 aussah. Was die Public Relation betrifft, gilt die historische Hoffnung der 1525 unterlegenen Bauern: Die Enkel fechtens besser aus. Selbstkritisch muß der Rezensent bekennen, dass in dieser Rezension weniger die Arbeit Yigits besprochen wurde, sondern dass diese fast nur als Folie benutzt wurde, sich zurück zu erinnern, subjektiv sich zurückzuerinnern. Hier gilt die Hoffnung: die Enkel, Nichten, Neffe rezensieren es besser aus (– der Rezensent kann aus seiner Haut nicht raus).
Siegfried Geyer / Carlheinz Gräter: Flug über Hohenlohe und Tauberfranken. Mit Heilbronn und Würzburg. Silberburg-Verlag GmbH, Tübingen 2006. ISBN-10: 3-87407-708-X; ab 2007 ISBN-13: 978-3-87407-708-8. ... Eine kleine Anmerkung können wir uns allerdings nicht ganz verkneifen, wenn wir die Grätersche Kommentierung der Bosch-Teststrecke lesen: „1978 begann der Kampf vieler Bauern gegen die geplante Teststrecke des damaligen Daimler-Benz-Konzerns bei Boxberg. Gegen Politik und Wirtschaft setzten sich die Streckengegner 1987 durch. Ohne den Widerstand konnte dagegen ein anderer Stuttgarter Konzern dann dieses bescheidenere Testgelände anlegen.“ Der Traum-a-land-Zusammenhang hat die Boxberger Bauern einige Zeit unterstützt und einiges in den Widerstand eingebracht und zum Fall des Projektes beigetragen. Dagegen hat der adelige Fremdkörper in der tauberfränkischen Landschaft – die Leininger, nach 1803 ohne jeglichen einheimischen Bedarf dorthin implementiert, 1978 durch den verräterisch schnellen Verkauf des Seehofes mit fast 200 ha Grundbesitz die spätere Ansiedlung der Bosch-Teststrecke ermöglicht. ...
Der TRAUM-A-LAND e.V. unterstützte lange Zeit den Widerstand gegen die Daimler-Benz-Teststrecke siehe dazu Teststrecke-Widerstand
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